Auch hier dreht sich alles um den Vulkan. Oder vielmehr, gerade hier. Denn der Vulkan auf Stromboli ist der einzige ständig tätige Vulkan Europas. Mehrmals stündlich bietet er ein Schauspiel, das in Europa seinesgleichen sucht.
Um unsere drei Tage, die wir auf der kleinen Insel mit dem großen Vulkan verbringen, optimal zu nutzen, stellen wir unseren Rhythmus vollständig auf ihn ein. Sind wir normalerweise auf Reisen tagsüber aktiv und lassen den Tag dann bei einem gemütlichen Abendessen langsam ausklingen, läuft es hier genau andersrum: tagsüber passiert nicht viel. Wir bummeln durch die schmalen Gässchen, die zu beiden Seiten von weiß gekalkten Häusern gesäumt sind, liegen am Strand mit feinem schwarzen Lavasand, lesen, trinken Kaffee oder essen Granita con panna, eine Art halbflüssiges Wassereis mit Sahne (das von Einheimischen, zusammen mit einem süßen Brötchen, einer Brioche, auch gern zum Frühstück gegessen wird).
Die Höhepunkte des Tages kommen dann am Abend. Denn im Dunkeln sieht man die feurigen Fontänen des Vulkans besonders gut.
Und so gibt es am ersten Tag unseres Aufenthaltes, quasi als Vorspeise, eine 10 Kilometer-Wanderung zur Sciara del Fuoco, der Feuerrutsche. Alle paar Jahre fließt hier nach besonders schweren Ausbrüchen glühende Lava ins Meer.
Wir brechen gegen 18 Uhr auf, denken, wie wir zwei schweißtreibende Stunden später bedauern werden, nicht daran, etwas (leckeres) zum Trinken mitzunehmen und warten gemeinsam mit einigen Franzosen (erwähnte ich schon, dass außer Italienern hier nahezu ausschließlich Franzosen sind?) in 400 Metern Höhe auf den nächsten Ausbruch des Vulkans.
Plötzlich zischt es, als ob ein Gashahn aufgedreht würde. Ein sehr großer Gashahn. Und dann entzündet jemand ein Feuerwerk auf dem Gipfel des Vulkans. Genauso sieht es aus, wenn er sein Feuer in den Nachthimmel spuckt. (Allerdings verändert er seine Farbe nicht.)
Wir stehen, schauen und staunen. Man kann nicht gerade die Uhr nach ihm stellen, aber in etwa jede Viertelstunde ein Mal gönnt er uns durchaus sein Spektakel.
Gegen neun machen wir uns mit Hilfe unserer Stirnlampen an den Abstieg und gönnen uns in der Pizzeria Osservatorio, die ein paar hundert Höhenmeter tiefer aber immer noch mit Blick aufs Feuerwerk liegt, eine Pizza mit mindestens fünf weiteren Vulkanausbrüchen.
Zur Hauptspeise: Die Wanderung auf den Gipfel
Wie im echten Leben wird einem auch hier die Hauptspeise nicht geschenkt. Serviert wird: die Besteigung des Kraters. Fast 1000 Höhenmeter. Drei Stunden Aufstieg. Eine Stunde Frieren am Gipfel. Eineinhalb Stunden Staub schlucken beim Runterrutschen über die Aschenbahn auf dem Heimweg. Ein teures Mahl, aber exquisit.
Um 16 Uhr treffen wir uns mit Frederico und neun weiteren Wanderern aus Frankreich, Italien, Tschechien und Deutschland bei „Vulcano adventures“. Jeder erhält einen Helm, der uns auf dem Gipfel des Stromboli, dem 3000 Meter hohen Vulkan (2000 davon unterseeisch), vor herumfliegenden Gesteinsbrocken schützen soll. Außer uns sind noch sechs weitere Gruppen anderer Agenturen unterwegs. Über die 400 Meter-Höhenlinie darf man seit einigen Jahren nämlich nur noch mit einem Führer. Zur Hauptsaison können dann am Abend leicht schon mal um die 20 Gruupen am Berg sein. Damit alle auf den Gipfel passen, muss man nach 15 Minuten schon wieder runter. Gut, dass erst April ist.
Das Wetter könnte nicht besser sein: die Sonne scheint, es ist mit etwas über 20 Grad angenehm warm und – wie es sich später zeigen wird – sternenklar. Drei Stunden lang folgen wir einem schmalen Pfad, der sich mit angenehmer Steigung in die Höhe schlängelt.
Auf dem Gipfel stoßen wir auf die anderen Gruppen, was nicht wirklich stört, da jeder in das Naturschauspiel vertieft ist. Wir setzen unsere Helme auf und warten auf den Sonnenuntergang und die erste Eruption.
Eigentlich ist geplant, gleich ganz hoch zu gehen. Doch wir verharren etwas unterhalb des Gipfels bei den Schutzhütten, die vor einigen Jahren nach mehreren Unfällen errichtet wurden. Denn der Wind treibt gerade die Aschewolken direkt zum Gipfel, so dass man sich dort nicht lange aufhalten kann. Der Ausblick ist aber auch ein paar Höhenmeter niedriger fantastisch. Außerdem bieten die Unterstände die Möglichkeit, sich zwischen den einzelnen Eruptionen ein paar Minuten vor dem mittlerweile sehr kalt gewordenen Wind zu schützen.
Es zischt. Es grummelt. Mehrere hundert Meter (!) hohe Flammen erleuchten den Nachthimmel. Glühende Lavabrocken fallen zu Boden und rutschen über die Schiara, die Feuerrutsche, gen Meer. Nie zuvor habe ich derartiges gesehen. Feine Asche dringt in Augen, Mund und Nase, der Wind zerrt an der Kleidung und obwohl ich mittlerweile fünf Schichten trage, friere ich und die Hände sind eiskalt. Egal. Ungläubig staunend wird jede Zuckung des Vulkans mit großem Ah und Oh von der versammelten Fangemeinde registriert.
Nach etwa einer Stunde wagen wir uns ganz hoch. Es sind nur fünf Minuten und vom Gipfel aus hat man den Eindruck, fast in den mit flüssigem Magma angefüllten Kratertopf schauen zu können. Zudem sehen wir jetzt mehrere aktive Feuerstellen und versuchen, sie alle zugleich in den Blick zu nehmen.
Zu Beginn hatten wir uns gewundert, dass der Veranstalter für den Abstieg von fast 1000 Metern nur eineinhalb Stunden veranschlagt hatte. Bald wurde es aber klar: Dreiviertel der Strecke konnten wir auf feinem schwarzen Sand hinunterrutschen. Eine spaßige aber sehr staubige Angelegenheit.
Duschen, Haare waschen, Wäsche machen sind deshalb die Tätigkeiten zwischen Hauptspeise und Dessert: einer Fahrt mit dem Boot zur Schiara.
Zum Nachtisch: Flammender Himmel über dem Meer
Wir starten mit Frank, bei dem wir auch Übernachtung mit Frühstück gebucht haben, um 18 Uhr im Hafen von Stromboli. Mit an Bord acht weitere Passagiere. Zunächst schippern wir nach Ginostra, einem kleinen Inseldörfchen, das ausschließlich per Boot, nicht auf dem Landweg zu erreichen ist. Noch sind die Bars und Restaurants geschlossen. Unseren Apéritif serviert der kleine Dorfladen. Im Plastikbecher. Macht nichts. Die Atmosphäre und der Ausblick sind ein Traum.
Pünktlich zum Sonnenuntergang sind wir wieder auf dem Wasser.
Nach zehn Minuten drosselt Frank den Motor, köpft eine Flasche Prosecco und stößt mit uns auf den Stroboli an. Ja, er hat es gehört und sich sogleich gemeldet. Mit einem schönen roten Feuerregen.
Und noch einem. Und noch einem. Das war ein üppiges Dessert. Köstlich, wie das gesamte Stromboli-Menü. Mille grazie!