Archiv der Kategorie: Holland (Herbst 2023)

Gleich noch ein Museum: Folkwang in Essen

Wie kommen wir vom Kröller-Müller-Museum im holländischen Otterlo am besten nach Göttingen zur Schwiegermama? Über den Kohlenpott (an meiner Ausdrucksweise lässt sich mein Alter ablesen 😊). In Duisburg waren wir während Corona, gefiel uns sehr gut. In Essen, Zeche Zollverein, klasse! Aber halt, das Folkwangmuseum in Essen! Oft gehört, nie dagewesen. Das ändern wir heute.

Mir als gebürtiger Niederrheinerin wird ein interessanter Fakt in Erinnerung gerufen: Bei Nijmegen in den Niederlanden heißt der Rhein nicht mehr Rhein, sondern Waal – den wir auf dem Weg zurück nach Deutschland überqueren.

Wie das Kröller-Müller-Museum ist das Folkwang einer einzelnen Sammlerpersönlichkeit zu verdanken: dem ebenfalls aus reichem Elternhaus stammenden Kunstliebhaber Karl Osthaus, der 1897 mit seiner Sammeltätigkeit begann.

Die linke Eva stammt von Rodin

Die erste interessante Entdeckung, die wir im Museum machen, ist Eva von Auguste Rodin. Mit meiner Namensschwester muss ich gleich mal ein bisschen posen.

Nicht das doppelte Lottchen sondern die doppelte Femme accroupie von Auguste Rodin

Die nächste Überraschung ist auch Rodin zu verdanken: gestern saß seine Femme accroupie, seine hockende Frau, noch im Gras vorm Kröller-Müller-Museum. Heute ist sie – oder ihr Double – hier in Essen.

Es gefällt mir, dass es im Museum eine eigene Stelle fürs Erforschen der Herkunft von Raubkunst gibt und dies bei fraglichen Werken dokumentiert ist und ausgehängt wird.

Paul Gauguin: Jeune fille à l’eventail

Auch dieser Vermerk unter Gauguins Bild gefällt mir: „Über das Leben der Frau, deren Namen die Literatur als Tohotaua überliefert, ist noch zu wenig bekannt… Gauguin nutzte eine Fotografie als Vorlage für dieses Gemälde. Das fotografische Porträt war bereits gestellt, in seiner Malerei veränderte Gauguin das Abbild von Tohotaua aber noch weiter… Jeune fille à l’eventail ist deshalb weniger ein Porträt von Tohotaua als mehr ein Abbild des weißen männlichen Blicks auf einen namenlos gemachten polynesischen Frauenkörper.“

Ein paar Säle weiter dann die nächste Überraschung. Diese Figur heißt Goldene Sirene und ist von Kiki Smith. Moment, den Namen habe ich doch neulich erst gelesen. Dem Internet sei abermals dank. Schnell finde ich heraus, dass ich mich nicht getäuscht habe. In Freising, unweit von meinem Wohnort, wurde vor kurzem im Diözesanmuseum eine neue Kapelle eingeweiht. Geschaffen wurde sie – von Kiki Smith. Da müssen wir dann auch bald hin.

Viele bekannte und uns weniger bekannte Kunstwerke später stoßen wir auf eins, das Achim Anregung für eigene künstlerische Tätigkeit bietet.

Philipp Goldbach schuf diese Wand-Installation aus 120.000 gestapelten Diarähmchen des ehemaligen Bildarchivs der Ruhr-Universität Bochum. Das Wandfries ist in seiner Abfolge nach AutorInnen und topographischen Orten strukturiert und sein Erscheinungsbild mehr als nur Zufall. Ich weiß nicht, ob bei uns daheim 120.000 Dias lagern, aber ein paar Tausend sind es bestimmt, die in einem solchen Kunstobjekt eine optimale Zweitverwertung fänden.

Wir lassen nicht nur unseren Museumsbesuch sondern auch diese Reise im Café Edda ausklingen. Morgen geht es nochmal für einen kurzen Besuch zur inzwischen erholten Schwiegermama und am Mittwoch fahren wir wieder nach Hause.

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Eine bedeutende Sammlerin: Helene Kröller-Müller

Als Tochter aus betuchtem Hause hätte sie ihr Geld für modischen Schnickschnack, für Schmuck oder Reisen ausgeben können. Nichts dergleichen interessierte die Deutsch-Holländerin Helene Kröller-Müller. Ihr Augenmerk galt einzig und allein der Kunst.

Foto aus Wikipedia

Ihr Museum in Otterlo liegt 150 Kilometer südwestlich von uns. Auf dem Weg dorthin fahren wir wieder einmal über ein gewaltiges Straßenbauwerk, den 26 Kilometer langen Houtribdeich, der das Ijsselmeer und das Markermeer voneinander trennt.

Das Kröller-Müller-Museum ist gut besucht, vor allem die Van Gogh-Sammlung zieht viele Besucherinnen und Besucher an. Es ist die zweitgrößte Van Gogh-Sammlung der Welt mit 90 Gemälden und rund 180 Zeichnungen. Der junge Maler und die Kunstsammlerin lebten in der gleichen Epoche und van Gogh war für Helene der bedeutendste Vertreter der modernen Kunst.

Doch auch Exponate anderer moderner Meister wie Seurat, Monet, Picasso und Mondrian sind Teil ihrer Sammlung. Sie kaufte vor allem Kunstwerke, die während ihres eigenen Lebens entstanden und damals noch nicht die allgemeine Anerkennung fanden oder aber von der Kunstkritik negativ beurteilt wurden. 

Zwischen 1907 und 1939, ihrem Todesjahr, erwarb Helene Kröller-Müller 11 500 Kunstobjekte. Immer war es ihr Wunsch, die Werke in einem Museum zeigen zu können. Sie vermachte dem niederländischen Staat mit dieser Auflage ihre Sammlung. Neuerwerbungen halten sie lebendig.

Faszinierend sind auch die Außenanlagen des Museums. Auf 25 Hektar, mitten im Naturpark Veluwe gelegen, finden wir einen der größten Skulpturenparks Europas.

Verteilt über den Garten sind über 160 Skulpturen aufgestellt. Von Marta Pan und Tom Claassen…

… bis zu Auguste Rodin und vielen anderen.

„Ihr müsst viel Zeit mitbringen“, schrieb uns eine Freundin, die kürzlich hier war. Ach, hätten wir nur noch viel mehr gehabt!

Stadt und Strand

Heute wollen wir an die Nordsee. Uns den Wind um die Ohren pfeifen lassen. Leider heute auch den Regen.

Auf dem Weg liegt Alkmaar, berühmt für seinen Käsemarkt. Da er heutzutage vor allem für die Touristen da ist, findet die Show nur noch in den Sommermonaten statt. Ob wir da viel verpassen? Im Internet habe ich heute Morgen gelesen, dass der Platz abgesperrt wird, die Zuschauer in Fünferreihen stehen und man von hinten entsprechend wenig sieht.

Die Waage, auf der die großen Käselaibe ausgewogen werden, kann man auf dem Platz auch in der kühlen Jahreszeit besichtigen. Seit 1365 wird hier in Alkmaar Käse gewogen.

Am Markttag geht das Treiben bereits um 7 Uhr morgens los.  Unter den wachsamen Augen des Marktmeisters platzieren sogenannte Setter rund 30.000 Kilo Gouda-Käse in langen Reihen auf dem Platz. Pünktlich um 10 Uhr ertönt die Glocke. Dies ist das Zeichen dafür, dass der Käsemarkt beginnt.

Vielleicht würde ich mir das Spektakel doch gern mal anschauen. Alkmaar kommt eh auf die Liste der zu wiederholenden Ausflüge. Denn auch der Bummel durch die Altstadtgassen und entlang der Grachten macht ohne Regenschirm mehr Spaß. Ein andermal. Zu einer wärmeren Jahreszeit.

Wir fahren weiter nach Egmond aan Zee auf einen Campingplatz. Frei stehen ist hier in Holland nicht erlaubt, an der sehr touristischen Küste wohl auch kaum möglich. Stellplätze für WoMos sind ebenfalls eher rar. Wir kochen Kaffee und packen uns wasserdicht ein. Das ist eine reine Vorsichtsmaßnahme, denn aktuell ist es trocken. Ab an den Strand.

Ein breites Dünenband begleitet hier den Strand. Just in dem Moment, in dem Achim seine Drohne rausholt, beginnt es zu regnen.

Wir laufen noch etwa eine halbe Stunde durch die Dünen und den Regen, bis wir wieder am Bus sind. Spannend: in den ortsnahen Dünenbereichen gibt es jede Menge Schrebergärten, in denen auf großen Flächen Gemüse angebaut wird. Hier und da bieten die GärtnerInnen den Spaziergängern ihre Waren in hölzernen Buden zum Verkauf an. Davon kann ich leider keine Fotos machen. Der Regen ist mittlerweile zu stark.

Im Camper wird’s jetzt eng mit den nassen Klamotten. Nachdem alles irgendwie aufgehängt ist, machen wir es uns gemütlich. Wenn man im Trockenen sitzt, klingt das Trommeln des Regens auf dem Wagendach sehr heimelig.

Bei Sonnenschein die Küste runter

Wir fahren weiter nach Süden und nehmen dabei kleine Straßen so nah an der Küste wie möglich. Richtig ans Wasser kommt man allerdings nur, wenn man einen Abstecher macht.

Entweder sehen wir von weitem etwas Interessantes: „Guck mal dahinten! Was ist das denn?“ Im Näherkommen erkennen wir zwei Figuren, die aufs Meer hinausschauen. Wachten op hoog water, Warten aufs Hochwasser heißt das Kunstwerk.

Oder es gibt einen Hinweis bei google maps wie auf diesen Waadfisker, den Fischer im Watt, der uns an den Deich lockt und zu einem Blick aufs Wattenmeer verhilft.

Das ist für diese Reise wohl auch der letzte, denn weiter südlich gibt es keine vorgelagerten Inseln und somit auch kein Wattenmeer mehr.

Aber jetzt erstmal zu Albert Hijn, einem holländischen Supermarkt. Hier findet man so typische Leckereien wie Schokoladen- und bunte Zuckerstreusel, Lakritze, Spekulatiusbruch, Pudding mit Keksbrösel u. v. a. m. Normale Sachen gibt es auch, aber wer will die schon?

Die Lage am Meer verlieh dieser Stadt eine wichtige Handelsposition. Auf diese Weise bekam Harlingen im Jahre 1234 bereits das Stadtrecht. Im Laufe der Jahrhunderte nahm der Wohlstand zu. Das kann man an den über 500 monumentalen Gebäuden, die Harlingen zählt, erkennen.

Aber auch die schlichteren Bürgerhãuser und die kleinen und großen Häfen und Kais haben ihren Reiz.

Hier bekomme ich auch eine weitere Spezialität: Kibbeling, ein niederländisches Fischgericht. Fischfilet wird in mundgerechte Häppchen geschnitten, mit Backteig überzogen und dann frittiert. Remouladensauce dazu und das ganze in ein weiches weißes Brötchen gepackt. Bestes Junkfood.

Der nächste Höhepunkt des Tages ist die Fahrt über den Afsluitdijk, den Abschlussdeich. Der 32 Kilometer lange Damm wurde in den 30er Jahren gebaut und ist eines der wichtigsten niederländischen Objekte zur Landgewinnung und zum Küstenschutz. Er machte aus der gezeitenabhängigen Zuiderzee das Binnengewässer Ijsselmeer.

In der Mitte des Dammes gibt es einen Parkplatz. Ein idealer Platz für den Nachmittagskaffee. Neben uns drehen sich rund hundert Windräder.  Sie bilden den weltweit größten Windpark in einem Binnengewässer. Hier werden 1,5 Terrawattstunden Strom erzeugt. Damit können 500 000 Haushalte versorgt werden.

Zum Schlafen haben wir einen Platz im Binnenland gefunden. Die kleine Ortschaft Oosthuizen bietet zwei Stellplätze für Camper an einem Kanal an. So stehen wir wieder am Wasser, sind glücklich, dass das Wasser von oben heute ausgefallen ist und sind gespannt auf den morgigen Tag.

Am Lauwersmeer

Gerade rechtzeitig zum Sonnenaufgang öffne ich die Bustür. Klingt früher als es ist: es ist schon zwanzig nach acht.

An drei Seiten sind wir auf unserem Stellplatz von Wasser umgeben. Da schmeckt das Frühstück doppelt so gut.

Wir fahren heute nicht weiter sondern drehen mit dem Rad eine 50-Kilometer-Runde ums Lauwersmeer, eine ehemalige Meeresbucht, die 1969 durch einen Deich von der Nordsee getrennt wurde. Mit dem Deichschluss konnte das Wasser der namensgebenden Lauwers nicht mehr direkt in die Nordsee fließen. Dadurch wurde das Wasser brackig und die Natur veränderte sich, eine neue Flora und Fauna entstand. Um dieses Gebiet zu schützen, wurde 2003 der Nationalpark Lauwersmeer eingerichtet.

Natürlich gibt es hier viele Vögel. Entsprechend viele Vogelkijkhuter, Vogelbeobachtungshütten, wurden rund um das Binnenmeer errichtet. Ob es wohl mal einen Designwettbewerb dafür gegeben hat? Wahrscheinlich, denn jede Station sieht anders aus.

Sollte es einen Wettbewerb geben, wer an einem halben Tag die meisten Vogelkijkhuter besucht, haben wir den heute gewonnen. Wir waren auf ALLEN. Und haben Falken und Bussarde und Gänse gesehen. Die gibt es tausendfach, weil sie hier überwintern. Die Luft ist voll mit ihrem Geschnatter.

Vogelgucker sind übrigens freundliche und kommunikative Menschen. Wenn man sich in einem solchen Beobachtungsstand trifft, grüßt man sich natürlich erstmal freundlich. Dann fragen die Neuankömmlinge, was es denn zu sehen gibt. Die Antwort erfolgt in diesem Fall auf Holländisch. Da die deutschen Besucher dessen nicht mächtig sind, wird die Übersetzungsapp gezückt und nach dem deutschen Wort gesucht. Slechtvalk  so heißt der Wanderfalke, Bergeend die Brandgans. Die fremdklingenden Worte werden wie eine Praline vorsichtig probiert und langsam im Mund gewendet. Dann lässt man die anderen am optischen Equipment teilhaben. Das Spektiv ist schon auf den Falken eingestellt. „Komm, guck mal hier durch!“

Teile des Naturschutzgebietes sind als Sternenpark, als dark sky park, deklariert. Hier ist es besonders dunkel und deshalb kann man besonders gut Sterne gucken (wenn das Wetter mitspielt). Auch für die Sternegucker wurden Beobachtungshütten gebaut und mit hölzernen Kopfstützen versehen, damit man es sich nachts gemütlich machen kann.

Wir sind im Uhrzeigersinn ums Lauwersmeer gefahren und erreichen den Damm, der uns von der Nordsee trennt, am Ende unserer Tour. Auf der ganzen Strecke sind wir immer wieder an Schleusen vorbei gekommen, kleinen, größeren, alten, neuen. Hier an der empfindlichsten Stelle sind die Schleusentore hochhausgroß. Bei Sturmflut werden die Schotten dicht gemacht. Das dem Meer abgetrotzte Land will man sich nicht wieder abnehmen lassen.

Zum Abendessen gibt es heute Blumenkohl und es ist mal wieder ein traumhafter Kochplatz, an dem ich ihn zubereiten darf.

Am Noordkaap

Letztes Jahr waren wir am Nordkapp in Norwegen, heute sind wir am Noordkaap in Holland.  Es ist der nördlichste Punkt des niederländischen Festlandes.

Das Kunstwerk „De Hemelpoort“ (die Himmelspforte) markiert den exakten Ort. Von hier aus bietet sich ein freier Blick über das Wasser und den unendlichen Himmel über dem Watt. Schemenhaft erkennen wir Borkum am Horizont.

Heute ist es grau und regnerisch und es kostet ein wenig Überwindung, den warmen, gemütlichen Bus zu verlassen. Aber sowohl zum Noordkaap als auch zur Wasserburg Menkemaborg kommt man nur zu Fuß. Auch für manche Schnappschüsse muss man das Auto verlassen.

Windkraft
Wasserburg Menkemaborg

Andere kann man bequem aus dem Auto machen 😏.

Ehe wir uns das allermooiste dorp van Nederland, das allerschönste Dorf der Niederlande, Winsum anschauen, lassen wir den Wasserkessel pfeifen, brühen einen Kaffee auf und probieren seit langem mal wieder einen Honigkuchen, den wir gestern bei unserem ersten holländischen Einkauf entdeckt haben.

Aber dann wagen wir uns raus. Viel Backstein, viel Wasser, zwei Kirchen auf einer Warft, zwei Windmühlen. Wenn es nicht so nieseln würde und die Sonne schiene, hätten wir allerdings mehr Spaß bei unserem Stadtbummel.

Schließlich finden wir noch einen Käseladen und kaufen Winsumer Brugkaas, Brückenkäse, hier gefertigt und die Kostprobe schmeckt uns beiden sehr gut.

Unser Platz für den Abend und die Nacht ist auf einer ehemaligen Werft in Lauwersoog, wieder einmal direkt am Wasser. Draußen mache ich heute nichts mehr, die Umgebung erkunden wir morgen. Dann soll wieder die Sonne scheinen.

Von der Blauen Stadt und hängenden Küchen

Es war vor allem der Name, der mich gereizt hat, als unser Nachbar neulich von der Blauen Stadt hier in Holland erzählte. Waren wir doch im Frühjahr erst in der Blauen Stadt in Marokko, in Chefchaouen.

Hier in Holland ist nicht wie in Marokko die Farbe der Häuser sondern das Blau des Wassers namensgebend für die Stadt.

Die hiesige Touristeninformation bezeichnet das Projekt als unkonventionelle Lösung gegen die Arbeitslosigkeit: „Was macht man, wenn der Reichtum aus dem Getreideanbau verflogen ist und die Arbeitslosigkeit in der Region zum zunehmenden Problem wird? Man gräbt ein großes Loch und füllt es mit Wasser. Rings um den See baut man Häuser für wohlhabende Leute. Auf diese unkonventionelle Art entstand das Dorf Blauwestad.“

Ein Wohndorf an einem neu angelegten See, das reichere Menschen in die Region locken, dem Bevölkerungsschwund entgegenwirken und die Gegend aufblühen lassen sollte.

Gesagt, getan: Es wurde ein 800 Hektar großes Loch ausgehoben; 2005 drehte Königin Beatrix den Hahn auf, worauf rund 14 Millionen Kubikmeter Wasser das neue Oldambtmeer fluteten, das heute den Anwohnern und Touristen als Freizeitgelände dient.

Wir radeln bei bestem Wetter durch die Gegend und denken uns, dass man wirklich schlechter wohnen kann als hier. Und was es nicht alles gibt.

Doch damit noch nicht genug. Um die Bewohner des neuen Wohngebietes vernünftig an den Hauptort Winschoten anzubinden, wurde eine Fußgänger- und Radfahrerbrücke gebaut. Es ist die größte Europas geworden.

Sie ist 800 Meter lang, besteht aus vier Brückenteilen und überquert ein Naturschutzgebiet, eine Autobahn und einen Fluss. Eingeweiht wurde sie im Jahr 2021.

Nach so viel Informationen brauchen wir erstmal eine Pause angereichert mit holländischen Spezialitäten Frikandel speciaal mit Fritten. Lekker, wie man hier sagt.

Die hangende Keukens, die hängenden Küchen von Appingedam, stehen am Nachmittag auf unserem Besichtigungsprogramm. Auch hier war es vor allem der Name, der mich getriggert hat, denn letztes Jahr haben wir in Spanien die hängenden Häuser in Cuenca bestaunt.

Diese Häuser hier in Appingedam hatten ursprünglich zur Wasserseite hin Ladeluken und wurden früher als sogenannte „Packhäuser“ zum Be- und Entladen von Schiffen genutzt.

In Wikipedia finde ich: „Nachdem Appingedam seine Bedeutung als Seehafen verloren hatte und die ursprüngliche Nutzung der Packhäuser aufgegeben worden war, erfolgte ein Umbau der Gebäude zu Wohnhäusern. Aufgrund der vorgegebenen Größe und Zuschnitte der Gebäude war jedoch der nachträgliche Einbau von Küchen nicht möglich. Die Architekten lösten die Aufgabe, indem sie die Küchen als Anbauten außen an die Häuser anfügten. Die neuen Küchenräume schweben frei einige Meter über dem Wasser.“ Gern hätte ich mir so eine Küche von innen angeschaut. Noch lieber würde ich in so einer Küche mal kochen, vielleicht eine holländische Spezialität wie die Eierbalen, die ich heute Nachmittag in Appingedam gesehen habe. Da muss ich wohl bis zuhause warten.

Uns zieht es jetzt wieder ans Meer. Wellen und Schafe gucken.

Keine Seehunde, aber moderne Kunst

Wir sind zu spät! Wie geplant radeln wir nach dem Frühstück zur Zeehondenkijkwand, fahren hierhin, fahren dorthin und finden sie nicht. Das nahe gelegene Dollart – Besucherzentrum hat auch noch geschlossen, aber wir haben Glück: gerade kommt die zuständige Frau und schließt auf. „Die Seehunde?“, sie schüttelt bedauernd den Kopf. „Die sind nur im Sommer hier. Juni, Juli, August, September“, zählt sie auf. Sie fühlt sich im Englischen sichtlich nicht wohl, auf Deutsch und Holländisch können wir leider nicht miteinander reden, also spare ich mir die Frage nach dem Warum und befrage stattdessen das Netz. „Zu Winterzeiten verlassen die meisten ihre Region und ziehen in tiefere Gefilde der Nordsee, wo sie der Nahrung nach Fischen folgen“, erfahren wir da. Wie schade!

Wir gehen also nur ein bisschen spazieren und radeln dann zum Bus zurück. Unser Nachbar auf dem Stellplatz hat uns gestern einen Tipp gegeben: nur 20 Kilometer südlich von hier ist die Blaue Stadt. Die wollen wir uns anschauen. Morgen geht’s dann weiter nach Groningen ins Museum.

Wir sind vielleicht eine viertel Stunde gefahren: „Ist heute Sonntag?“, frage ich meinen Liebsten. „Oh je, dann ist morgen Montag und vielleicht hat das Museum zu?!“ Hat es, bestätigt das Internet. Da heißt es spontan sein. Groningen, wir kommen!

Das 100 Jahre alte Groninger Museum bekam 1994 ein neues Zuhause. Konzipiert wurde es vom italienischen Designer Alessandro Mendini und gilt als Ikone der Postmoderne des 20. Jahrhunderts. Ins Haus und in die Dauerausstellung kommt man kostenfrei.

Vor allem Künstler aus Groningen werden hier ausgestellt. Dass noch keine Künstlerinnen vertreten sind, ist ein Manko, dass den Verantwortlichen bewusst ist, wie sie schreiben und sie versprechen: „Wir arbeiten dran“.

Als erstes stoßen wir auf die Bilder des Fotojournalisten Erwin Olaf, dem mit seiner ersten Ausstellung im Groninger Museum 1987 der internationale Durchbruch gelang. Aktuell wird von ihm eine von den Skulpturen Auguste Rodins inspirierte Fotoserie gezeigt, die er eigens für das Groninger Museum gefertigt hat.

Der Expressionismus spielt eine große Rolle in der Arbeit der 1918 in Groningen gegründeten Künstlergruppe „De Ploeg“ (der Pflug). Der Name ist mit Bedacht gewählt: Das Kunstklima in Groningen empfanden sie als brachliegendes Feld, das es umzupflügen galt.

Dass sich daran einiges geändert hat, davon zeugt nicht nur dieses beachtliche Museum sondern ein weiteres geniales Gebäude, das wir nach einem kurzen Spaziergang durch die Stadt entdecken.

Das Forum Groningen beherbergt verschiedene Einrichtungen, die täglich öffentlich und zum Teil kostenlos zugänglich sind, darunter die städtische Bibliothek, die Touristeninformation, und die Dachterrasse, die einen Ausblick über die ganze Stadt bietet. Als kulturelles Zentrum hält es außerdem Kinosäle, Veranstaltungs- und Ausstellungsräume, Cafés und ein Restaurant vor.

An diesem Sonntagnachmittag sind viele Besucherinnen und Besucher da, viele von ihnen junge Leute, die hier an ihren Laptops zu arbeiten scheinen.

Von der Dachterrasse in 45 Metern Höhe hat man einen tollen Blick auf die Stadt.

Am Abend fahren wir raus aus der Stadt und bringen uns schon mal in die Pole Position für die morgigen Highlights.

Von Kunst und Watvögeln. Die Seehunde kriegen wir (hoffentlich) morgen

Der Wetterbericht hatte recht. Als ich um halb acht wach werde, regnet es nicht mehr. Ich schlüpfe in eine warme Hose und den Anorak und verlasse leise den Bus. Als wir gestern ankamen, haben wir wenig von unserer Umgebung wahrgenommen, weil es in Strömen geregnet hat.

Wir stehen hinterm Deich neben dem kleinen Hafen von Termunterzijl. So eine Idylle am frühen Morgen! Eine kleine Treppe führt auf den Deich hinauf und von hier kann man die gesamte Bucht, den so genannten Dollart, überblicken. Im Nieselgrau, weit hinten, zeichnet sich Emden ab.

Zwei Ziele haben wir für unsere heutige Radtour ausgeguckt: die Zeehondenkijkwand (Seehundebeobachtungswand) und de Kiekkaasten (Guckkasten), der ebenfalls am Rande des Watts liegt und von dem aus man die Wasservögel gut beobachten kann.

Abgelenkt von ein paar Geocaches auf der Fahrt am Deich entlang und einem kräftigen Schauer fahren wir an den Zeehonden vorbei und merken das leider erst drei Kilometer später. Bei dem Gegenwind haben wir keine Lust zurückzufahren. Egal, wir kommen auf dem Rückweg hier wieder lang.

Dafür tauchen nun am Wegesrand in kurzen Abständen zwei Kunstwerke auf. Zuerst der Hongerige Wolf. Der niederländische Bildhauer Arie Berkulin schuf es 1987. Es besteht aus zehn senkrecht stehenden Sandsaugrohren, die bei der Erhöhung des Deichs im selben Jahr benutzt wurden. Der Künstler will damit die stete Bewegung des Landes zum Meer hin veranschaulichen.

Auch das nächste Fundstück am Wegesrand ist schon von weitem sichtbar: das Kunstwerk von Martin Borchert Waaiboei (Windboje) ist nicht weniger als acht Meter hoch und steht an der holländisch-deutschen Grenze. Das Kunstwerk entstand 1996 und steht lose auf dem Deich, wo es sich mit dem Wind bewegt. Es ist einer Kirchturmspitze mit einer Nadel aus Blattgold nachempfunden und erinnert seit 1996 an die in der Bucht untergegangenen Dorfkirchen. Durch die Entstehung des Dollart und durch Einbrüche des Emsufers sind mindestens 20 Kirchspiele und 10 bis 15 weitere Dörfer sowie drei Klöster untergegangen

Wir stellen die Räder ab und machen uns zu Fuß auf den Weg zum Kiekkaaste. Er ist die einzige außendeichs gelegene Vogelbeobachtungshütte der Niederlande. Von hier lassen sich die Wattflächen des Dollart betrachten.

In der Ferne machen wir ein paar Rotschenkel aus, die drei jungen Ornithologinnen mit ihrem Spektiv neben uns entdecken noch eine ganze Horde Alpenstrandläufer und natürlich sehen wir alle Arten von Möwen, Gänsen und Enten.

Auf dem Rückweg nehmen wir den Asphaltweg direkt am Wasser, was zugleich bedeutet, dass wir etwa alle 200 Meter absteigen müssen, um ein Gitter aufzumachen. Damit sollen die Schafe, die hier den Deich pflegen, in bestimmten Abschnitten gehalten werden.

Als wir bei der Seehundbank ankommen, sehen wir die Bescherung: es ist Flut. Keine Möglichkeit für Seehunde also, sich auf dem Strand zu tummeln. Mist, das hatten wir vor zwei Stunden nicht bedacht. Vielleicht hätten wir da noch Glück gehabt. Wir werfen einen Blick in den Tidenkaklender: Morgen ist um 12 Uhr Niedrigwasser. Also werden wir uns nach dem Frühstück nochmal auf den Weg machen. Für heute ist es dann auch genug. Ich nehme noch die günstige Gelegenheit wahr, dass es hier eine Waschmaschine gibt und schmeiße unsere Schmutzwäsche hinein und Achim macht noch ein schönes Drohnenfoto von unserem idyllischen Stellplatz.

Am Dollart

Wat’n Wetter im Watt. Sturmtief Wolfgang sorgt für Wind und Regen an der Nordseeküste. Interessant: während es an der Ostsee zu starken Überflutungen kommt, gibt es im Wattenmeer ein äußerst seltenes Niedrigwasser. Die Fähren zu den ostfriesischen Inseln sind für heute allesamt abgesagt und auch die Elbfähre bei Glückstadt kann nicht fahren.

Wir ziehen unsere Regensachen und Gummistiefel an und machen einen kleinen Spaziergang zur Aussichtsplattform auf einer ehemaligen Bohrinsel im Dollart, eine große Bucht zwischen Deutschland und Holland. Der Hinweg mit Rückenwind ist okay, auf dem Rückweg verstecke ich mich hinter Achim, weil der Wind uns den Regen ins Gesicht peitscht.

Als wir wieder trocken sind und der Kaffee ausgetrunken ist, umrunden wir den Dollart, kommen nach Holland und stellen unseren Bus in den kleinen Hafen von Termunterzijl zum Abwettern. Füße hoch, Musik an, rausgucken aufs Wasser. Für morgen verspricht der Wetterbericht leichte Wetterbesserung.