Archiv der Kategorie: Münsterland (Herbst 2023)

Varusschlacht statt Wildpferde

In der Nähe der Stadt Dülmen ist die einzig verbliebene Wildpferdebahn auf dem europäischen Kontinent beheimatet – im Naturschutzgebiet Merfelder Bruch, einem weitläufigen Moor- und Heidegebiet. Erstmals im Jahr 1316 urkundlich erwähnt, leben hier noch heute rund 400 Pferde. Der eingezäunte Bereich umfasst eine Fläche von rund 400 ha. Die Pferde sind weitestgehend sich selbst überlassen.

Auch Wikipedia informiert über die Dülmener Wildpferde und zeigt sie auf diesem Foto.

Als ich am Ende des gestrigen Blogbeitrages schrieb, dass wir heute ganz was anderes machen wollten als radfahren und Schlösser anschauen, hatte ich einen Besuch bei den Wildpferden im Sinn. Aber im Internet steht geschrieben, dass das Terrain nur am Wochenende für Besuchende geöffnet ist. Sicherheitshalber rufe ich in der Früh bei der Touristeninfo an – bekomme dort aber dieselbe Auskunft.

Gut, dass wir uns am Abend zuvor einen Plan B überlegt haben. Achim redet seit Monaten davon, dass er nach Kalkriese möchte. Hier wird in einer Sonderausstellung mit dem etwas reißerischen Titel „COLD CASE – Tod eines Legionärs“ erstmals der bislang älteste und weltweit einzig erhaltene römische Schienenpanzer der Öffentlichkeit gezeigt. Die Zeit wird knapp, denn die Ausstellung läuft nur noch gute zwei Wochen.

Mich hat dieser cold case bisher ja eher kalt gelassen. Römerrüstungen sind nicht so mein Ding. Aber als Plan B scheint mir das doch akzeptabel. Und man bereitet seinem Liebsten auch gern mal eine Freude ☺.

Der Parkplatz vor dem stylischen Museumsturm ist so gut wie leer, als wir dort am frühen Nachmittag ankommen.

Im Gebäude werden wir von einer überdimensionalen Abbildung einer vor Ort entdeckten Maske, die die Römer als Gesichtsschutz getragen haben, empfangen.

Erst Ende der 1980er-Jahre begannen in Kalkriese die archäologischen Ausgrabungen. Auslöser hierfür war die Entdeckung der römischen Silbermünzen durch den britischen Hobby-Archäologen Tony Clunn. Was hier vor mehr als 2000 Jahren passiert ist, genau im Jahre 9 n. Chr., wird den Besucherinnen und Besuchern mit unterschiedlichen Mitteln plastisch nahe gebracht.

In einem Video beispielsweise mimen  zwei Schauspieler die damaligen Kontrahenten: den römischen Heerführer Varus und seinen früheren Zögling und späteren Widersacher Arminius, der genau hier in Kalkriese die mächtigen römischen Truppen in einen Hinterhalt lockte und besiegte.

Im Außengelände kann man versuchen nachzuvollziehen, wie die Römer in die Falle getappt sind. An der engsten Stelle zwischen Berg und Moor errichteten die Germanen am Fuß des Kalkrieser Berges einen 400 m langen Wall, der sich unauffällig in die Landschaft fügte. Sie platzierten ihre Krieger darauf und nahmen die überraschten Römer von zwei Seiten in die Zange.

Dann kommen wir zum aktuellen Höhepunkt der Sonderausstellung, in deren Zentrum die erst vor wenigen Jahren entdeckte Rüstung steht. „The one and only“, die einzige weit und breit, titeln die Ausstellungsmacher, die selbst keine eindeutige Antwort auf die Frage haben: Warum gibt es weltweit nur diesen einzigen Fund?

Faszinierend ist es, die Arbeit der ForscherInnen zu verfolgen, das Ineinandergreifen der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nachzuvollziehen, die Museumskonzeption zu erleben und die Architektur der Gebäude zu erkunden.

Die Details zur Varusschlacht kann ich erfahren, muss sie aber nicht unbedingt kennen. Aber es gibt sicherlich schlechtere Orte, um über die Gräuel von Kriegen ganz allgemein nachzudenken. Hier, sagen die Experten, starben binnen drei Tagen 20 000 Römer. Wieviele Germanen ihr Leben ließen, weiß man nicht.

Gerade heute habe ich den Satz von Albert Camus gelesen: „Frieden ist die einzige Schlacht, die es wert ist, zu führen.“

Quartett von Wasserschlössern

Als ich um kurz vor halb acht wach werde, ist es noch halb dunkel und sehr feucht. Nach dem Frühstück sieht das schon ganz anders aus: die Sonne scheint und Achims kurzer Schlafanzug ist (für ihn) noch passend zur Temperatur (9 Grad).

Wasserschloss Lembeck

Zuerst fahren wir nochmal zum benachbarten Schloss Lembeck, um die Drohne steigen zu lassen. Ja, das ist Achim gut gelungen. Jetzt sieht man – im Gegensatz zu gestern – dass es sich um ein Wasserschloss handelt.

Wasserschloss Raesfeld

20 Kilometer weiter westlich überrascht uns das Wasserschloss Raesfeld. Hier ist richtig was geboten: neben dem imposanten Gebäudekomplex aus dem 17. Jahrhundert gibt es eine schöne Parkanlage mit schnatternden Wasservögeln, etliche Cafés, in denen man draußen bei Kaffee und Kuchen sitzen kann, eine große Touristeninfo, in der man viele Tipps zum Radfahren und Wandern bekommt und ein paar Schritte entfernt einen Bürgerpark mit Fitnessparcours, Kneippbecken und, wichtig für uns, einer Ladestation fürs E-Bike. Ah ja, und leckere belgische Waffeln mit allem drum und dran.

In der Touristeninfo haben wir diesen praktischen Fahrradanhänger bekommen. Wir können hier die Knotenpunkte eintragen, die sowohl in der Radkarte vermerkt sind als auch auf den Schildern entlang der Straßen und Radwege. So kann man sich von Punkt zu Punkt hangeln und kommt im besten Fall dort an, wo man hin will.

Wir haben zwei weitere Wasserschlösser im Visier und dafür müssen wir erstmal 20 Kilometer nach Norden fahren, vorbei an vielen Windrädern, viel mehr als wir es aus Bayern gewohnt sind. Auch Sonnenblumen blühen noch. Einmal müssen wir absteigen und schnell die Ferngläser aus den Packtaschen holen. Fünf Rauhfußbussarde zeigen genau über uns ihre Flugkünste.

In einem Dorf entdecken wir dieses tolle Ensemble: Tische und Bänke um einen Baum herum als Treffpunkt für die Nachbarschaft. Sehr nachahmenswert.

Wasserburg Gemen

Wieder ganz anders ist die Atmosphäre bei den beiden nächsten Schlössern. Beides sind heute Bildungsstätten. Vor der Wasserburg Gemen sind viele Jugendliche unterwegs, vor, nach und während ihrer Seminare. Es ist eine Jugend-Bildungsstätte des Bistums Münster.

Wasserschloss Velen

Vor dem Schloss Velen, knapp 20 Kilometer nordöstlich, spielt eine Gruppe Erwachsener Tischtennis. Dort können wir das Gelände nicht betreten. Es ist in Privatbesitz und wird als Seminarhaus betrieben.

Fürs erste ist unser Bedarf an Schlössern damit gedeckt und für morgen haben wir ganz was anderes vor. Ob das klappt, ist aber überhaupt nicht sicher. Wir sind gespannt.

Schlösser im Münsterland

Nach dem Frühstück fahren wir 20 Kilometer nach Westen in die kleine Gemeinde Havixbeck. Hier haben wir die Möglichkeit, unser Clo zu leeren (ist nicht ekeliger als Windeln wechseln oder Popo abwischen), Abwasser zu entsorgen und Frischwasser zu tanken. In unseren Tank passen 100 Liter, damit kommen wir ein paar Tage aus.

Nochmal 50 Kilometer weiter westlich beziehen wir unser neues Quartier für die nächsten zwei Nächte auf dem Hof von Bauer Trockel. Auf seiner Wiese bietet er Stellplätze für drei Wohnmobile an. Außer uns ist aber keiner da.

Hier ist unser Startpunkt für den Westkurs der 100-SCHLÖSSER-ROUTE. Je nach Wetter und Lust wollen wir sie in den nächsten Tagen erkunden. Bis ins frühe 19. Jahrhundert war das Münsterland in kleine Herrschaftsgebiete zersplittert. Daher die große Dichte an Schlössern und Burgen in der Gegend.

Das erste Schloss finden wir gleich in unserem Ort. In der Nähe des Dorfes Lembeck wurde im Mittelalter ein festes Haus errichtet. Zwischen 1670 und 1692 wurde es zu dem heute noch gut erhaltenen Wasserschloss umgebaut, welches zu den größten des Münsterlandes gehört.

Das Foto ist leider ohne Wasser. Für ein Foto mit Wasser müssen wir nochmal mit der Drohne herkommen – wird nachgereicht. Versprochen.

Der Radweg führt durch Felder, Wälder, Alleen und kleine Ortschaften. Wir müssen am Bauernhofcafé in Haltern eine Zwangspause machen, um unsere Akkus aufzuladen.

Über Haltern am See, das mich mit seinen Backsteinbauten und der quirligen Fußgängerzone an meine Heimatstadt Kempen am Niederrhein erinnert, kommen wir zum Wasserschloss Sythen.

Im Internet und auf Informationstafeln im weitläufigen Gelände kann man die bewegte Geschichte vom Ritter Dietrich bis zum Caritasverband Recklinghausen nachlesen, der – heutzutage völlig unverständlich – das Herrenhaus und das Wirtschaftsgebäude 1971 abreißen ließ.

Viele Jahre später konnten die Überreste des inzwischen fast verfallenen Anwesens von der Stadt Haltern erworben und von einem Förderverein, der den Kosenamen „Rentnerband“ trägt, gerettet werden. Mindestens zehn Rentner sind auf dem Gelände unterwegs, als wir uns dort umschauen. Überall wird gewerkelt, alles winterfest gemacht. So beeindruckend dieses bürgerschaftliche Engagement!

Auf dem Rückweg radeln wir quer durch den Wald des Naturparks Hohe Mark und stehen auf einmal sehr überrascht vor einem riesigen Turm. Er wird „Himmelsleiter“ genannt, ist aber im Gegensatz zum Kunstwerk in Münster praktischer Natur: es ist ein 39 Meter hoher Feuerwachturm. Wir klettern quasi an den Baumstämmen entlang in die Höhe, erklimmen die Baumwipfel und können dann in schwindelerregender Höhe unseren Blick über den Wald bis zum Horizont schweifen lassen. Der Sonnenuntergang ist nicht mehr weit, also nichts wie zurück zum Bus.

Viele Schlösser und noch mehr Radwege im Münsterland

Auf der Fahrt vom Stettiner Haff nach Göttingen schaue ich mir im Internet an, wie man eigentlich von Göttingen aus an die holländische Nordsee, Ziel unserer nächsten Kleeblattreise, fahren kann. Dabei springt mir Münster ins Auge. Und eine Werbung der dortigen Touristeninfo für den 100-Schlösser-Radweg. Er ist 1000 km lang und da das für die Meisten zu weit ist, wurde er in vier Abschnitte aufgeteilt, die einen jeweils zu den Sehenswürdigkeiten der Gegend führen. So viele Schlösser auf einem Fleck kenne ich von der Loire. Dass es dies hier auch gibt, wusste ich nicht. Die Entscheidung fällt schnell: das schauen wir uns an.

Da der Wetterbericht für das Wochenende Regen ansagt, schieben wir einen Tag in der Stadt Münster ein. Hier gibt es interessante Museen, in denen man trocken bleibt.

Fahrradstadt Münster

Schön, wenn sich der Wetterbericht zu unseren Gunsten irrt. In der Nacht regnet es noch kräftig, aber einem Morgenlauf entlang des Dortmund-Ems-Kanals steht schon nichts mehr im Wege. Nach einem leckeren Frühstück schwingen wir uns auf die Räder, um die Stadt zu erkunden. Münster ist DIE Fahrradstadt in Deutschland, so dass wir sicher und bequem vom Stellplatz am Kanal rüber ins Zentrum fahren können.

Der Dom
Der Prinzipalmarkt

Ich habe wegen der elf Grad, die wir nur haben, Anorak, Schal und Handschuhe an, aber die Sonne strahlt mittlerweile vom Himmel und setzt den Dom und den Prinzipalmarkt ins rechte Licht.

Botanischer Garten
Das Schloss

Wir bummeln durch den botanischen Garten und zum Schloss. Es gehört zu den letzten großen Schlossanlagen, die im 18. Jahrhundert in Deutschland gebaut wurden. Johann Conrad Schlaun, der berühmteste Barockbaumeister Westfalens, errichtete das Gebäude. Das Schloss brennt im Zweiten Weltkrieg fast vollständig aus, nur einige Möbel, Türen und Wandfelder sind kostbare „Überlebende“. Heute ist das Schloss der Sitz der Universität.

Museum Kunst und Kultur

Erst gegen Mittag zieht es uns ins Museum für Kunst und Kultur, das 2014 erbaut wurde und tausend Jahre Kunst beherbergt. Es gibt interessante An-und Ausblicke.

Aus dem Museum zum Dom geblickt
Lambertikirche mit Himmelsleiter

In der Lambertikirche gibt es am Nachmittag ein Orgelkonzert. Der spanische Organist Juan Maria Pedrero (*1974) spielt Werke seines Landsmanns Juan Cabanilles (1644 – 1712) sowie von Bach, Mendelssohn-Bartholdy und Reger. Zuvor und währenddessen bewundern wir die Installation „Die Himmelsleiter“ der jungen österreichischen Künstlerin Billi Thanner, die außen am Kirchturm und innen vor der Orgel befestigt ist.

Münster gefällt uns sehr gut. Wir lassen den abwechslungsreichen Besichtigungstag am Aasee bei einem Feierabendbier ausklingen. Was gibt es zu feiern? Den Tag.