In der Nähe der Stadt Dülmen ist die einzig verbliebene Wildpferdebahn auf dem europäischen Kontinent beheimatet – im Naturschutzgebiet Merfelder Bruch, einem weitläufigen Moor- und Heidegebiet. Erstmals im Jahr 1316 urkundlich erwähnt, leben hier noch heute rund 400 Pferde. Der eingezäunte Bereich umfasst eine Fläche von rund 400 ha. Die Pferde sind weitestgehend sich selbst überlassen.
Als ich am Ende des gestrigen Blogbeitrages schrieb, dass wir heute ganz was anderes machen wollten als radfahren und Schlösser anschauen, hatte ich einen Besuch bei den Wildpferden im Sinn. Aber im Internet steht geschrieben, dass das Terrain nur am Wochenende für Besuchende geöffnet ist. Sicherheitshalber rufe ich in der Früh bei der Touristeninfo an – bekomme dort aber dieselbe Auskunft.
Gut, dass wir uns am Abend zuvor einen Plan B überlegt haben. Achim redet seit Monaten davon, dass er nach Kalkriese möchte. Hier wird in einer Sonderausstellung mit dem etwas reißerischen Titel „COLD CASE – Tod eines Legionärs“ erstmals der bislang älteste und weltweit einzig erhaltene römische Schienenpanzer der Öffentlichkeit gezeigt. Die Zeit wird knapp, denn die Ausstellung läuft nur noch gute zwei Wochen.
Mich hat dieser cold case bisher ja eher kalt gelassen. Römerrüstungen sind nicht so mein Ding. Aber als Plan B scheint mir das doch akzeptabel. Und man bereitet seinem Liebsten auch gern mal eine Freude ☺.
Der Parkplatz vor dem stylischen Museumsturm ist so gut wie leer, als wir dort am frühen Nachmittag ankommen.
Im Gebäude werden wir von einer überdimensionalen Abbildung einer vor Ort entdeckten Maske, die die Römer als Gesichtsschutz getragen haben, empfangen.
Erst Ende der 1980er-Jahre begannen in Kalkriese die archäologischen Ausgrabungen. Auslöser hierfür war die Entdeckung der römischen Silbermünzen durch den britischen Hobby-Archäologen Tony Clunn. Was hier vor mehr als 2000 Jahren passiert ist, genau im Jahre 9 n. Chr., wird den Besucherinnen und Besuchern mit unterschiedlichen Mitteln plastisch nahe gebracht.
In einem Video beispielsweise mimen zwei Schauspieler die damaligen Kontrahenten: den römischen Heerführer Varus und seinen früheren Zögling und späteren Widersacher Arminius, der genau hier in Kalkriese die mächtigen römischen Truppen in einen Hinterhalt lockte und besiegte.
Im Außengelände kann man versuchen nachzuvollziehen, wie die Römer in die Falle getappt sind. An der engsten Stelle zwischen Berg und Moor errichteten die Germanen am Fuß des Kalkrieser Berges einen 400 m langen Wall, der sich unauffällig in die Landschaft fügte. Sie platzierten ihre Krieger darauf und nahmen die überraschten Römer von zwei Seiten in die Zange.
Dann kommen wir zum aktuellen Höhepunkt der Sonderausstellung, in deren Zentrum die erst vor wenigen Jahren entdeckte Rüstung steht. „The one and only“, die einzige weit und breit, titeln die Ausstellungsmacher, die selbst keine eindeutige Antwort auf die Frage haben: Warum gibt es weltweit nur diesen einzigen Fund?
Faszinierend ist es, die Arbeit der ForscherInnen zu verfolgen, das Ineinandergreifen der verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nachzuvollziehen, die Museumskonzeption zu erleben und die Architektur der Gebäude zu erkunden.
Die Details zur Varusschlacht kann ich erfahren, muss sie aber nicht unbedingt kennen. Aber es gibt sicherlich schlechtere Orte, um über die Gräuel von Kriegen ganz allgemein nachzudenken. Hier, sagen die Experten, starben binnen drei Tagen 20 000 Römer. Wieviele Germanen ihr Leben ließen, weiß man nicht.
Gerade heute habe ich den Satz von Albert Camus gelesen: „Frieden ist die einzige Schlacht, die es wert ist, zu führen.“